Jetzt ist der Milliardenbau am Airport Zürich offen. Der Internaut macht einen Ausflug zum Circle Flughafen Zürich. Und kommt zu diesem ersten Befund: Der heimliche Star im angeblichen neuen Stadtteil ist die Natur.
Fünf Jahre Bauzeit, über eine Milliarde Franken investiert: The Circle am Flughafen Zürich ist ein gewaltiges Bauwerk. Ein Riesenkomplex mit Gesundheitszentrum und zwei Hyatt-Hotels, mit Büroflächen, Dienstleistungen Läden und Restaurants.
Damit nicht genug: The Circle wurde von Beginn weg auch als urbane Destination angepriesen. Als neues Stadtquartier quasi, als zusätzliches Viertel fernab dem Zentrum der Stadt Zürich.
Der japanische Architekt Riken Yamamoto, so war schon während der Bauphase vielerorts zu lesen, habe sich für die räumliche Gestaltung des Grossprojekts unter anderem im Niederdorf in der Zürcher Altstadt inspirieren lassen.
Was dann zu Titelzeilen führte, die an Kraft und vorauseilender Euphorie kaum zu überbieten waren. Medien freuten sich auf «Unten Niederdorf, oben Manhattan», man ahnte «verwinkelten Gassencharme» im nagelneuen Grossprojekt. Klar also, dass der Internaut bei der ersten Begehung besonders scharf hinblickte, hinblicken musste.
Circle Flughafen Zürich: Disclaimer
Ich verfasse diese Besprechung im vollen Wissen darum, dass die Eröffnung zu einem schwierigen Zeitpunkt erfolgt ist. Mitten in der Corona-Pandemie und dazu noch in der dunklen Jahreszeit, die das Flanieren nicht eben begünstigt.
Die Airlines sind am Boden, es fehlen Passagiere und Events. Und natürlich sind noch nicht alle Angebote offen, noch nicht alle Mieter der Community im The Circle eingezogen.
Trotzdem: Mit der offiziellen Eröffnung der publikumswirksamen Bereiche vom 5. November 2020 ist der Zeitpunkt für einen First Encounter im The Circle gekommen. Eine erste Begehung, bei der es mir vor allem darum geht, was denn nun von den vollmundigen Versprechen eingelöst worden ist.
Und für wen sich eine Reise zum Circle lohnt.
The Circle: Beste Anreise
Schon im Vorfeld wurden die Initianten nicht müde, den Circle als innovativsten und «besterschlossensten Ort» der Schweiz zu preisen. So rein superlativtechnisch hätte mir auch der «besterschlossene Ort» gereicht, aber seis drum.
Was aber natürlich wirklich stimmt: The Circle ist sehr gut erschlossen, der Mega-Bau am Flughafen Zürich ist per Auto, Bahn, Velo, Bus und zu Fuss leicht erreichbar. Und natürlich auch per Flugzeug.
Meine Lieblingsvariante, um die spektakuläre Glasfassade ein erstes Mal optimal in den Sucher zu nehmen, ist aber eine andere: Die achtminütige Schussfahrt mit Tram Nummer 10 vom Bahnhof Balsberg bis zum Flughafen.
Am besten bei Sonnenuntergang, bitte auf der rechten Seite in Fahrtrichtung Platz nehmen. Spectacularly.
Circle Flughafen Zürich: Eine dreiteilige Annäherung
Wie nähert man sich einem solchen gewaltigen Bauwerk in adäquater Art und Weise? Der Internaut macht es sich einfach und hält sich an die Worte des Flughafens selber.
Der Airport Kloten lobt sein Baby («das neue Highlight am Flughafen Zürich») für Konsumenten mit dieser Triole aus: «Einkaufen. Geniessen. Erleben.» Okay, dann schauen wir uns das in der vorgegebenen Reihenfolge mal etwas genauer an.
The Circle für Shopping-Trendsetterinnen und Retail-Späher
Der Flughafen selber hat The Circle nie vordergründig als Einkaufszentrum angekündigt. Korrekt so. Immerhin bietet das ganze Dienstleistungszentrum weitere Nutzungen wie Spital, Hotels und Büros.
Wenn es aber um das Thema Shopping ging, waren die Versprechungen mehr als vollmundig: Statt von «Läden» oder «Shops» war von «Brand Houses» die Rede. Zwölf Meter hohe Räume, in welchen die Mieter dann «eine ganze Welt um ihre Produkte schaffen» würden.
Als einer, der sich stark interessiert für das gepflegte Offline-Warentheater, für innovative Laden-Layouts und Erlebnisdichte pro Shopping-Quadratmeter, kann ich zum Angebot im The Circle leider nur eines sagen: Nix Besonderes.
Keiner der Anbieter lässt die Kubikmeter krachen, niemand verleiht seiner «Welt» grandioses Raumgefühl. Die angekündigten Showrooms für den smarten Konsumenten des 21. Jahrhundert sehen wir hier nicht. Was wir sehen: Ein paar Shops, die wohl mit durchschnittlich ausgeprägter Inspiration gestaltet sind, dabei aber Mut und Hingabe für die räumlichen Möglichkeiten vermissen lassen.
Fazit Shopping-Strahlkraft und -Innovation: Du willst Weltklasse sein, Circle? Okay. Aber dann muss hier mehr kommen. Deutlich mehr.
The Circle für Geniesserinnen und Geniesser
Damit könnte wohl das Gastro-Angebot gemeint sein. Was man den Planern (und hoffentlich auch Planerinnen) zugute halten muss: Es wäre wohl ein Leichtes gewesen, eine so prominent gelegene Location mit Mietern aus der Global-Liga abzufüllen. Ein McDonald‘s hier, eine Pizza-Kette dort. Ein Kaffeehaus aus Seattle links, eine Steak-Kette rechts.
Das hat The Circle nicht gemacht. Man setzt grösstenteils auf lokal und regional verankerte Macherinnen und Macher. Am Tor zur Welt lokalen Champions vertrauen und nicht die erstbeste Lösung aus dem gängigen Gastro-Werkzeugkasten eindübeln: Vorbildlich.
Auch im Gastro-Bereich fallen mir die meisten Konzepte im Circle nicht durch räumliche Grosszügigkeit auf. Mit einer Ausnahme.
Räumlich am allerschönsten hat Sablier angerichtet. Das französische Restaurant, hinter dem die Gastro-Macher Segmüller (bekannt etwa vom Carlton in Zürich) stecken, ist eine Augenweide. Da wird der Raum ausgenützt, da ist etwas Imposantes entstanden. Rooftop-Terrasse inklusive. So muss Circle.
Mittlerweile war ich schon ein paar Mal im Sablier. Sehr lecker dort. Weiterer Appetit ist angeregt. Weil: Hier isst das Auge mit.
Fazit Gastronomie: Ein erster Pflock ist eingeschlagen im Circle. Bitte mehr davon.
The Circle für Urbanistas und Stadtflaneure
Und jetzt zum vollmundigsten aller vollmundigen Ankündigungen: The Circle werde zu einer urbanen Destination, hiess es, zu einer Art neuem Stadtteil von Zürich.
Was für mich heissen würde: Ein Habitat der Urbanistas, ein Biotop für Stadtflaneure. Ein Niederdorf2.0 quasi. Kann das ein Neubau wirklich leisten?
Um noch einmal kurz zum Disclaimer zurückzukommen: Natürlich weiss ich, dass es bei einem Neubau eine gewisse Zeit, wohl eher fünf als drei Jahre, braucht, bis so richtig Leben einzieht.
Trotzdem muss ich es hier deutlich sagen: Urbanes Leben wie in der «richtigen Stadt» ist aktuell im Circle nicht auszumachen. Dafür wirkt hier alles zu konstruiert, zu geplant, zu sehr vorgespurt, zu steril. Wem das jetzt alles etwas zu banal formuliert ist: ETH-Professor Christian Schmid hat das in der «NZZ» (Artikel leider hinter der Paywall) gescheiter und fundierter gesagt. In aller Kürze: «Der Circle ist keineswegs urban.»
Fazit urbanes Leben: Circle, da hast Du uns zu viel versprochen.
The Circle für Fotografinnen und Instagramer
Wer mit seiner Kamera oder dem Handy-Knipsomat gerne auf gewaltige Kulissen zusteuert oder am liebsten technische Details einfängt oder sich an Fluchtpunktperspektiven wagt, der (oder die) kann im Circle happy werden.
Oder, etwas kürzer: Ja, der Circle ist instagramable.
Wer sich etwas Zeit nimmt im Circle, wer nach oben schaut oder dem Lichtverlauf folgt, kann tolle Bilder schiessen. Es wird wohl nicht lange dauern, bis sich die gewaltige Glasfassade als Landmark etabliert hat.
Als eine Art Wahrzeichen also, das in ein paar Jahren schon in vielen Teilen der Welt erkannt wird. Well done, Circle.
Fazit Fotogenität: Was wohl so gewollt war, ist auch so eingetroffen. Der Circle ist ein Hingucker. Wenn über eine Milliarde Baukapital zur Verfügung steht, darf das aber auch so erwartet werden.
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Zur AnmeldungThe Circle für Naturfreundinnen und Chill-Outer
Bei diesem letzten Punkt muss ich kurz etwas persönlich werden. Als einer, der im Flughafendorf Kloten aufgewachsen ist, war mir zunächst etwas bange um das Butzenbüel.
Für Menschen, die mit diesem Begriff nichts anfangen können: So heisst der kleine Hügel am Flughafen. Bange war mir drum, weil ich befürchtet hatte, dass die Circle-Gigantomanen das kleine Stück Natur schnöde überbauen (oder schlimmer noch: urbanisieren) würden. Das Gegenteil ist geschehen.
Die Circle-Macherinnen und Macher haben das Butzenbüel sogar aufgewertet. Mit einer neu hingebauten Standseilbahn kann man hochfahren zum Top of Circle; wahlweise geht das auch zu Fuss.
Eine zauberhafte Wasserfläche vermittelt Ruhe auf dem Butzenbüel. Natürlich ist das Flughafen-Hügeli kein Matterhorn und auch kein hübscher Zwergberg wie etwa das Hörnli, aber man kann ein paar kleine Wander-Einheiten einlegen, mit den Kids spielen oder sich in Kontemplation üben. Aktuell natürlich auch deshalb, weil aufgrund der Pandemie kaum Fluglärm zu hören ist.
Aber es kommt noch besser: Wenn nicht gerade hunderte von Besuchern auf dem Butzenbüel unterwegs sind, findet man bestimmt einen ruhigen Platz für sich selber. Und mit etwas Glück auch einen freien stilvollen Sessel, um mal ein wenig abzuschalten.
Oder um zu chillen, wie der jüngere Mensch heute sagt. Dass man den Park sogar zusammen mit Rangern entdecken kann, ist wohl für viele Menschen eine kleine Sensation: Eine kleine Oase, so nahe bei den Düsenvögeln.
Circle Flughafen Zürich: Fazit generell
Die fast kommerzfreie Entspannung in der Natur am Circle reisst die Sache noch einmal raus. Sehr hübsch! So hübsch sogar, dass ich bilanzieren muss: Der heimliche Star im angeblichen neuen urbanen Raum ist die Natur.
Ganz generell gesagt und gefragt: Muss man The Circle u-n-b-e-d-i-n-g-t gesehen und erlebt haben? Der Internaut sagt: So wie er sich jetzt zeigt: Nicht unbedingt.
Spannend wird zu sehen sein, wie sich der Circle nach dem Auszug der beiden Jelmoli-Häuser neu erfinden kann. Ich bleibe dran und komme darauf zurück.
Freut mich wieder mal ein internaut von Zürich zu lesen, jetzt fehlt nur noch das spektakuläre Bild vom Tram Nummer 10 vom Bahnhof Balsberg bis zum Flughafen bei Sonnenuntergang. Oder wurde diese Spannung absichtlich offen gelassen?
Merci fürs Feedback. Stimmt, ein solches Bild oder ein solches Video könnte diesen Blogpost gut ergänzen. Auf der anderen Seite gilt natürlich auch: Ein bisschen Spannung ist immer gut. Warst Du selber schon im Circle? Eindrücke?
Wie sich dieser Ort genau entwickelt, wird man nach dem Ende der Pandemie sehen dürfen. Die Glasfassade gefällt mir auch. Mit dem Tram war ich seit dem Bauabschluss noch nie dort. So ein Mikroreisli für mich Workingpoor hat sich aber bis jetzt noch nicht ergeben. Bin von diesem Flughafen vor 21 Jahren das letzte mal geflogen.
Danke für den Input, sehe ich auch so: Wenn sich die Lage normalisiert hat, wird man The Circle noch einmal neu beurteilen können. Um die ganze Wucht des Baus zu erfassen, muss man nicht unbedingt per Tram anreisen. Zu Fuss ab Kloten-Balsberg geht auch, dauert etwa 20 Minuten.