Einst war sie gar nicht angetan von dieser Strasse. Jahre später ist Internaut-Gastautorin Silvia Schaub überzeugt: Die Mariahilferstrasse Graz ist eine echte Starke Strecke. Hier gehts lang ins Grazer Lendviertel, zu Bohnen, Bier & blauer Blase. Und so viel mehr.
Der Lendplatz bedeutete für mich als Kind so etwas wie das Tor zu Graz. Wenn wir von der Vorortsgemeinde, wo die Verwandten wohnten, in die Stadt fuhren, endete dort der Bus – und für uns begann die grosse weite Welt.
Allerdings mieden wir die Strasse, die den Lendplatz mit der Innenstadt verband. Die Mariahilferstrasse war damals vor mehr als 40 Jahren noch Rotlichtbezirk, gesäumt von Nachtclubs und Bordellen.
Mariahilferstrasse Graz: Das Ausgangsviertel der Lendianer
Heute hat sich die Gegend vom Scherbenviertel zum Kreativquartier gemausert und ist ein beliebtes Ausgehviertel mit vielen trendigen Shops und Läden, Restaurants und Bars.
Auch für mich!
Die Starke Strecke Mariahilferstraße Graz ist ein Gastbeitrag von Silvia Schaub. Die Schweizer Journalistin und Autorin schreibt hauptsächlich über die Themen Reisen, Design, Lifestyle und Gardening und betreibt daneben ein Bed & Breakfast im Toggenburg.
Aber fangen wir beim Lendplatz an: Wie damals findet dort auch heute noch täglich ein Markt statt, wo die Bauern der Umgebung ihre Ware feilbieten, viele davon in Bio-Qualität.
Von Blumen aus ihren Gärten über das selbstgepresste Kernöl bis zum geselchten Fleisch, immer von Montag bis Samstag, 6 bis 13 Uhr.
Schon morgens sind die Restaurants auf dem Platz voll und es herrscht reger Betrieb. Denn nur einfach auf dem Markt geht man hier nicht, man trifft sich auch.
Die Lendianer, wie sich die Einheimischen in diesem Quartier nennen, kennen sich untereinander. Es sei ein Dorf in der Stadt, sagen sie über das Lendviertel und nennen es liebevoll «Grätzl».
So bezeichnet man in österreichischen Städten sein Wohnviertel. Aber auf dem Schauplatz unsrer heutigen Starken Strecke Mariahilferstrasse in Graz darf das natürlich auch für das «kleine Graz» stehen.
Ein Kaffeehalt bei Paul und Bohne
Eigentlich wollten wir ja vom Lendplatz zur Mariahilferstrasse schlendern. Aber auf dem Weg dorthin stolpern wir an der Josefigasse über ein Kaffeehaus, an dem man nicht einfach vorbeigehen sollte.
Und so machen wir den ersten Kaffeehalt im Paul und Bohne, wo der Espresso immer noch – auch wenn heutzutage nicht mehr ganz politisch korrekt – «ein kleiner Brauner» ist.
Kaffee ist bei Inhaber Paul Sorger aus dem Grazer Traditionskaffeehaus Sorger eine Familiensache. Er ist sozusagen ein Kaffeerundumversorger, bei dem es von der Maschine bis zur Bohne alles gibt, was es für einen guten Kaffee braucht.
Neben verschiedenen Blends bekommt man hier auch Single Origins zu kosten, wie auch Bullet Coffee oder Iced Slow Coffee.
Einmal Haare schön an der Mariahilferstrasse Graz
Gleich gegenüber liegt die Haarschneiderei – ein stylisches Coiffeurgeschäft mit einer Atmosphäre wie in Omas Wohnzimmer.
Schon die Plakate in den Schaufenstern weisen darauf hin, dass hier unkonventionelle Haarschneider am Werk sind.
«Der coolste Friseur in der Stadt», bestätigt Charlotte, die gerade den Laden verlässt. «Da müsst ihr unbedingt reingehen.»
Eine Tour zur Frisur an der Mariahilferstraße? Okay, wird gemacht!
Ein Drink bei Brot & Spiele
Poolbillard, Snooker oder Darts gefällig? Dann unbedingt einen Zwischenhalt im Lokal Brot & Spiele an der Mariahilferstrasse 17 einplanen. Und wer dabei hungrig wird, wählt aus der Burger-Karte mit 22 Variationen oder Steaks und Wings.
Noch schwieriger wird’s bei der Wahl des Bieres: 130 Sorten aus aller Welt werden im Brot & Spiele angeboten – sogar aus Hawaii und Vietnam.
So kosmopolitisch wie die Bierkarte ist ohnehin das ganze Viertel. An der Mariahilferstraße 15 etwa fühlt man sich wie in der Karibik – zum Beispiel im Rangoon.
Lieber ein Caipirinha, Mojito oder Cuba Libre im Glas? Oder doch eine Eigenkreation des Rangoon-Chefs? Amador Grullon Rodriguez zaubert auf jeden Fall Fröhlichkeit ins Glas.
Einst ein Puff, heute ka Puff mehr
Apropos Rotlichtbezirk. Da und dort findet man noch Überbleibsel. Wie etwa das Noël (Mariahilferstrasse 19), das einst ein Bordell war, aber heute als Bar die Leute wie Motten anzieht. Ebenfalls ein ehemaliges Bordell war im Kabuff» am Lendquai 13 untergebracht. Und dieses ist heute eben «ka Puff» mehr.
Alle Bars können wir an dieser Stelle gar nicht aufzählen. Am besten taucht man hier auf, wenn die Sonne am Horizont verschwindet und an der Strasse das Leben erwacht wie in mediterranen Breitengraden.
Ein Laden an der Mariahilferstraße Graz
Doch auch tagsüber lohnt sich ein Abstecher an die Mariahilferstrasse. Im Design Geschäft Kwirl an der Mariahilferstrasse 11 erzählen alle Produkte eine besondere Geschichte.
Kletternde Leuchten, vegane Schuhe aus PVC oder ein Lampenschirm aus Skiern? Alles da bei Kwirl. Lokale, aber auch internationale Designerinnen und Designer setzen bei den Entwürfen besonders auf Nachhaltigkeit und geben gebrauchten Materialien ein zweites Leben.
Eine Mahlzeit im Mohrenwirt
An diesem Lokal darf man keinesfalls einfach vorübergehen: Der Mohrenwirt an der Mariahilferstrasse 16 ist nicht nur eines der ältesten Restaurants in ganz Graz.
Es hat sich auch mit den Wirtsleuten Lukas Lepsic und Romana Pieber ganz der österreichischen Küche verschrieben.
«Ehrliches Essen» nennen sie ihre österreichische Kost schlicht. Die Karte mit Gulasch, Schnitzel und Backhendl hört sich traditionell an, enthält aber auch anderes.
Gerichte wie Jiddische Bio-Hendlleber im Glas, flaumige Spinatknödel oder G’stockter Rahm. Mmmh, das schmeckt!
Noch ein Shop an der Mariahilferstrasse
Aufgefallen ist uns auch der Laden zerum, eine Boutique mit junger, cooler und erst noch nachhaltiger Mode, die mehrheitlich in Österreich produziert wird. Die Stoffe der T-Shirts stammen aus dem Vorarlberg, die der Parkas aus Kärnten und Teile der Röcke ebenfalls aus dem Vorarlberg.
Mittlerweile ist zerum das grösste Öko-Mode-Label Österreichs und hat wahrlich nichts mehr mit langweiliger, kratziger Mode zu tun.
Mariahilferstraße Graz: ein Instagram-Moment
Und dann sind wir am anderen Ende der Mariahilferstrasse auch schon beim Friendly Alien angelangt, dem prägnanten Grazer Kunsthaus von Weltruf.
Die blaue Blase oder auch Warzensau genannt ist immer ein Instagram-Shot wert. Natürlich muss man dem Kunsthaus einen Besuch abstatten.
Und sei es auch nur, um den Ausblick über die Dächer von Graz zu geniessen.
Ein Mitbringsel aus dem Lendquartier
Dieses Souvenir braucht zwar etwas Mut, aber damit fällt man definitiv auf. Und man tut erst noch was Gutes.
Die Gesichtsmasken der in Graz wohnhaften Londoner Künstlerin Katcha Bilek waren nämlich einst BHs.
Deren Erlös (20 Euro) werden zu 100 Prozent dem Verein Frauenhäuser Steiermark gespendet. Sie sind bei kwirl zu kaufen und echt ein Blickfang.
Mariahilferstrasse Graz: zwei Tipps fürs Hotel
Gleich um die Ecke beim Lendplatz, dem Startpunkt unserer Starken Strasse, befindet sich das Lendhotel , die ideale Location, um das Quartier zu entdecken.
Tolle Rooftop-Terrasse mit einem 360-Grad-Überblick über die Stadt. Doppelzimmer ab 94 Euro, ohne Frühstück.
Mitten im Pulk liegt das Hotel Mariahilf. 1663 erstmalig als Gasthof erwähnt, diente das Haus während der Weltkriege auch schon mal als Lazarett.
Heute ist das 3-Sterne-Hotel Treffpunkt von nationalen und internationalen Künstlern. Doppelzimmer ab 62 Euro, inkl. Frühstück.
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Zur AnmeldungGraz Mariahilferstrasse, die Anreise
Am besten nimmt man sich das Grazer Kunsthaus als Orientierungspunkt, denn unsere Starke Strasse beginnt – oder endet – genau dort.
Vom Bahnhof Graz steigt man in die Strassenbahn und fährt bis zum Südtirolerplatz.
Sehenswürdigkeiten in der Nähe zur Mariahilferstrasse Graz
Wer sich abends im Viertel tummelt, kann die Murinsel nicht übersehen. Unbedingt einen kurzen Abstecher auf die beleuchtete, begehbare Skulptur unternehmen.
Gleich vis-à-vis des Kunsthauses befindet sich mein persönlicher Lieblingsladen, Samen Köller.
Ein wahres Paradies für alle mit grünem Daumen. Oder für solche, die es noch werden wollen.
Den Laden gibt es seit 1773, damals die «Samenhandlung zum schwarzen Rettig», wo auch allerhand Devotionalien wie Heiligenbilder, Rosenkränze und Kruzifixe verkauft wurden. Heute findet man in den Hunderten von Schublädchen biologisches Saatgut, alte Sorten, Raritäten, Blumenknollen und viele schöne Garten-Werkzeuge.
Natürlich muss man auch zur Liesl, dem Glockenturm auf dem Schlossberg hoch – sei es zu Fuss oder mit dem Lift. Und falls nun jemand besonders hungrig ist bei der Rückkehr, dann liegt nicht weit entfernt der Frankowitsch, an der Stempfergasse 2-4. Seine leckere Brötchenbar ist in Graz eine Institution, die man nicht verpassen sollte.
Für die Serie «Starke Strecke» porträtieren der Internaut und seelenverwandte Autorinnen und Autoren städtische Strassen aus aller Welt, die nicht globalisiert sind.
Kein Starbucks, kein Zara, kein Hennes & Mauritz, kein McDonald’s – sondern lokale und regionale Anbieter aus Gastronomie, Hotellerie, Shopping und Kultur.
«Starke Strecke» ehrt Strassen, die Locals und Zugereiste gleichermassen glücklich machen.
Hier gehts direkt zu allen Starken Strecken.
Noch mehr coole Strassen
Der Internaut ist in Grossstädten unterwegs und findet Strassen, die Spass machen zum Essen, Trinken, Shoppen. Strassen, die nicht globalisiert sind – sondern von lokalen und regionalen Angeboten leben.
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